Engpass Humankapital – Wer führt, führt

Wie gut sich Unternehmen in der Wirtschaft behaupten, hängt in höchstem Maße von der Qualität ihres Humankapitals ab. Was in der industriellen Revolution die Maschinen waren, sind in der Informationsgesellschaft die Mitarbeitenden mit ihrer Kompetenz und Leistungsfähigkeit. Wenn während der industriellen Revolution ein Mitarbeiter mit seiner Arbeit unzufrieden war, dann war er sehr leicht zu ersetzen.

Die Menschen zogen zu dieser Zeit in Scharen aus ländlichen Gegenden in die Städte und es gab dadurch ein Überangebot an Arbeitskräften. Die Maschinen waren der wichtigste Produktionsfaktor und gehörten den Unternehmern, wer an diesen arbeitete, war aufgrund niedrigster Qualifikationsvoraussetzungen nahezu gleichgültig.

Heutzutage verhält es sich umgekehrt, in der Informationsgesellschaft ist der Mensch selbst zum wichtigsten Produktionsfaktor geworden. Wenn eine Fachkraft das Unternehmen verlässt, dann geht eine „Maschine“.  Bei einem IT-Unternehmen ist das selbsterklärend so, aber auch in produzierenden Unternehmen trifft das zu. Wenn beispielsweise ein Werkzeugbauer mit CNC-Maschinen Werkzeuge für die Automobilindustrie fertigt, dann sind es nicht die CNC-Maschinen, die den Erfolg ausmachen.

Jedes Unternehmen kann eine solche Maschine erwerben und somit sind sie ersetzbar. Stattdessen kommt es auf die Programmierung der Maschine an und damit auf die Fachkompetenz des Mitarbeiters. Je höher und spezifischer die Qualifikation des jeweiligen Mitarbeitenden oder der Führungskraft ist, desto schwieriger ist sie zu ersetzen.

Durch den Fachkräftemangel, der insbesondere im Mittelstand auffällt, ist das noch schwieriger geworden. Laut dem Mittelstandsbarometer 2017 von Ernst & Young waren zwar satte 59% aller Mittelständler derzeit uneingeschränkt zufrieden mit der Geschäftslage, aber 78% der Unternehmen geben an, dass es ihnen schwerfällt, qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Besonders stark betroffen sind die Automobilindustrie und die Elektrotechnik. Nach eigenen Angaben fällt es in diesen Branchen 89% bzw. 84% der Unternehmen schwer, offene Stellen adäquat zu besetzen. Mehr als die Hälfte aller Mittelständler beklagen, dass sie Aufträge nicht annehmen können, weil ihnen die geeigneten Fachkräfte fehlen und jeder Neunte beklagt sogar erhebliche Umsatzausfälle von mehr als fünf Prozent. Der gesamte Schaden beläuft sich nach den Berechnungen von Ernst & Young auf gut 49 Milliarden Euro jährlich.

Was bedeutet das praktisch für die Führungsarbeit?

Diese an die demografischen Veränderungen gekoppelte Entwicklung wurde bereits in den 50er Jahren von Peter Drucker prognostiziert. Der bekannteste Vordenker des Managements im 20. Jahrhundert ist heute noch der einflussreichste Autor in diesem Bereich. Er war neben seiner wissenschaftlichen Karriere als Wirtschaftsberater der amerikanischen Regierung und anderer Regierungsbehörden international tätig und hat sowohl große Unternehmen wie General Electric, Coca-Cola, Citicorp, IBM und Intel und auch zahlreiche mittelständische Unternehmen beraten. 1954 entwickelte er Management by Objectives, das Führen durch Zielvereinbarungen, das bis heute der Standard in der Führungsarbeit geblieben ist.

Im Bewusstsein dafür, dass der Mensch selbst die entscheidende Wirtschaftsressource in der wissensbasierten Gesellschaft ist, widmete er dem Umgang mit den Mitarbeitern seine besondere Aufmerksamkeit. Er unterscheidet beim Führen durch Zielvereinbarungen die sogenannten Hygienefaktoren von den Motivatoren.

Während beispielsweise das Gehalt ein Hygienefaktor ist, der gegeben sein muss, damit Mitarbeiter überhaupt arbeiten, ist die Anerkennung und das Feedback durch die Führungskraft ein Motivator. Das bedeutet, dass Geld nur ein bedingter Anreiz für die Motivation der Mitarbeiter ist, während das Sozialverhalten der Führungskraft eine Voraussetzung für motiviertes arbeiten ist.

Druckers Empfehlungen zum optimalen Sozialverhalten von Führungskräften werden von anderen bekannten Größen der Managementlehre, wie beispielsweise Fredmund Malik vom Institut St. Gallen geteilt, und decken sich zudem mit den aktuellen Erkenntnissen der Neurowissenschaften. Jedoch wird es in den meisten Unternehmen nur ungenügend umgesetzt.

Nur jeder zweite Mitarbeiter wird überhaupt gelegentlich gelobt und so ist es kein Wunder, dass die Mitarbeitermotivation schon seit Jahren stagniert. Laut der jährlich erhobenen Gallup-Studie machen 70% der Mitarbeiter Dienst nach Vorschrift, 15% haben bereits innerlich gekündigt und nur 15% arbeiten motiviert und identifizieren sich mit ihrem Unternehmen. Auch die Gallup-Studie identifiziert das Sozialverhalten der direkten Führungskraft als Kernursache für dieses ernüchternde Ergebnis.

„Die nehmen ihre beste Legehenne und wundern sich, dass sie heiser wird beim Krähen!“

Das ungehobene Motivationspotential ist also beträchtlich: Die soziale Kompetenz der Führungskräfte wird zum größten Engpass für den unternehmerischen Erfolg.

Man sollte meinen, dass diesem Umstand bei der Besetzung von Führungspositionen gezielt Aufmerksamkeit gewidmet wird. Häufig sind es aber Fachkräfte, die aufgrund ihrer vorangegangenen guten Leistungen mit Führungsverantwortung belohnt werden, ohne für diese Aufgabe ausreichend qualifiziert worden zu sein. Einer meiner Kunden fasste dies mit ironischem Tonfall folgendermaßen zusammen: „Die nehmen ihre beste Legehenne und wundern sich, dass sie heiser wird beim Krähen!“.

Diese Betrachtung darf man selbstverständlich nicht auf alle Führungskräfte übertragen und es gibt auch Naturtalente, die intuitiv mitbringen, was nötig ist. Die Führungsqualität allerdings dem Zufall zu überlassen, grenzt an Fahrlässigkeit.

Führungskultur als Gesundheits- und Identifikationsfaktor

Was Auswirkungen auf die Motivation hat, hat darüber hinaus großen Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden. Der Zusammenhang zwischen Führungskultur und Fehlzeiten wurde hinlänglich belegt. Die Auswirkungen gelungener Führungsarbeit sind in dieser Hinsicht so immens, dass Yogakurse und vergleichbare Angebote erst in zweiter Linie eine Rolle spielen.

Darüber hinaus sorgt eine solche Führungskultur auch für eine stärkere Identifikation mit dem Unternehmen und steigert die Bereitschaft Verbesserungsvorschläge aktiv einzubringen. Sie sorgt dafür, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden halten können und gleichzeitig attraktiver für Bewerber werden.

Im Ringen um qualifizierte Fachkräfte spielt das eine signifikante Rolle und hilft insbesondere beim Recruiting in den Generationen Y und Z, die einen solchen Umgang bereits voraussetzen. Die Relevanz des Themas wird deshalb in den nächsten Jahren noch zunehmen.

Die Liste der Vorteile ließe sich noch fortsetzen, aber alles in allem lässt sich festhalten, dass die Förderung qualifizierter Führung die wirksamste Methode ist, um das Humankapital optimal zu nutzen.

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WEITERE SPANNENDE IMPULSE